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Die Tricks der Pillendreher

von Jochen Paulus
(Die Zeit 22.04.2004)

 

 

Wie Pharmafirmen mogeln, damit Studien die gewünschten Resultate zeigen

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Pharmakonzerne stehen regelmäßig vor einem teuren Problem. Sie haben viel Geld in die Entwicklung eines Medikaments gesteckt. Nun müssen sie Zulassungsbehörden und Ärzte von dessen Wirksamkeit überzeugen. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Zum Glück gibt es bewährte Methoden. Gegen Honorar sind viele Professoren gern behilflich, Befunde zu fabrizieren, die im Sinne des Auftraggebers ausfallen.

Zwei Spezialisten haben Ende vergangenen Jahres in einer Satire für das British Medical Journal die gängigen Tricks aufgezählt, um potenten Auftraggebern einen positiven Versuchsausgang garantieren zu können: Ex-Oxford-Professor David Sackett und Andrew Oxman vom norwegischen Direktorat für Gesundheit und Wohlfahrt. Die beiden Verfechter der gestrengen evidenzbasierten Medizin zeigen in ihrem Artikel auf, wie leicht es ist, zu positiven Befunden zu gelangen: Das Mittel dürfe nur „nicht weitaus schlechter als ein Schluck dreifach destilliertes Wasser“ wirken.

Zuerst komme es auf die Wahl des Vergleichspräparats an, heißt es in ihrem Szenario. Gern genommen würden Placebos. Die seien leichter zu schlagen als vorhandene wirksame Medikamente. Aber auch beim Kampf gegen etablierte Konkurrenzprodukte lässt sich etwas tun. Man setze deren Dosis herab – schon schwächelt der Konkurrent gegen den üppig verabreichten Neuling. Das Bitterböse am Ulk von Sackett und Oxman ist, dass es zu den witzigen Anleitungen zum Tricksen durchaus Entsprechungen in der Realität gibt. Wenn die Dosierungen von miteinander verglichenen Arzneien sich nicht entsprechen – so ergab eine Auswertung von 56 Studien mit Entzündungshemmern, publiziert in den Archives of Internal Medicine –, profitiert davon meist das Präparat der Firma, die die Studie in Auftrag gegeben hatte.

Auch eine besonders kräftige Dosis von der Konkurrenz kann unter Umständen ratsam sein – wenn die Nebenwirkungen gemessen werden wollen. Haloperidol etwa, das klassische Mittel gegen Schizophrenie, erzeugt bei hoher Dosierung Muskelkrämpfe, so genannte extrapyramidale Nebenwirkungen. Die Hochdosis-Finte machten sich mehrere Konzerne zunutze. In mindestens acht Studien mit antipsychotischen Medikamenten der zweiten Generation für drei Firmen bekamen die Patienten doppelt bis fünfmal so viel Haloperidol verabreicht wie üblich. Daniel Safer von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore sagt: „Das garantiert praktisch, dass das Produkt der zweiten Generation weniger extrapyramidale Nebenwirkungen zeitigt als Haloperidol.“

Gefällt trotz ausgefeilter Planung das Endergebnis nicht, kann Statistik helfen. Sackett und Oxman empfehlen zur Schönung von Ergebnissen: einfach so lange Daten von Teilgruppen untersuchen, „bis sich ein signifikanter Effekt in der gewünschten Richtung findet“.

Auch solche Beispiele sucht man jenseits der Satire nicht lange vergebens. Die US-Firma Immune Response hatte einen therapeutischen Impfstoff namens Remune gegen den Aids-Erreger in 77 Kliniken an über 2500 Patienten testen lassen. Doch die Krankheit schritt fort, die Kranken starben. Da besann sich die Firma auf eine Teilgruppe von 250 Patienten, denen man besonders oft Blutproben entnommen hatte. Diesen Kranken ging es zwar nicht besser. Aber sie zeigten eine stärkere Immunreaktion als Placebo-Patienten. Diesen Vergleich wollte Immune Response veröffentlicht sehen. Die beauftragten Forscher weigerten sich. Der Vergleich war vorher nicht geplant gewesen. „Die haben nach Daten gebaggert“, schimpfte Studienleiter James O. Kahn von der University of California in San Francisco.

Viele Forscher sind kooperativer. Bezahlen Firmen die Studien, schneidet ihr neues Medikament in 51 Prozent der Studien günstiger ab als das alte. Sind Geldgeber neutral, passiert dies nur in 16 Prozent der Studien. Das fand Bodil Als-Nielsen von der Universität Kopenhagen bei der Analyse von 370 Untersuchungen heraus.

Natürlich fälscht ein ehrbarer Professor nicht. Stattdessen greift er zu einer Strategie, die harmloser nicht scheinen könnte: Veröffentlicht werden nur Daten der Patienten, die bis zum Ende der Studie mitgeschluckt haben. Nur Eingeweihte sehen den Verzerr-Effekt der Methode. Denn wer das Medikament verweigert, aussteigt, weil ihm die Nebenwirkungen zu viel werden oder weil es nicht anschlägt, fällt natürlich aus der Studie raus. In Deutschland nimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Unterlagen für klinische Studien mit Arzneimitteln entgegen. Kommen den Beamten Zweifel, können sie Berichte und Akten anfordern. Das tun sie etwa, wenn Daten „zu schön aussehen“, sagt Frieder Hackenberger, der Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfung. Dabei fänden sich gelegentlich „durchaus Diskrepanzen“ zu den Behauptungen der Hersteller „bis hin zum bewussten Manipulieren“.

Beliebt ist auch das Unterschlagen von Befunden. SmithKline Beecham, Vorläuferfirma des Pharmariesen GlaxoSmithKline, hatte sein Antidepressionsmittel Seroxat an Kindern und Jugendlichen getestet. Die Resultate enttäuschten. In der Studie Nummer 377 schnitt das Präparat sogar schlechter ab als das Placebo. Das hauseigene Central Medical Affairs Team empfahl daraufhin, „die Verbreitung dieser Daten wirkungsvoll zu steuern, um jegliche negative kommerzielle Wirkung zu minimieren“. Dass jemand dieses Dokument vor kurzem an die BBC schickte, war Pech und zwang GlaxoSmithKline zu der Verlautbarung, das Papier habe „sachlich falsche Schlüsse“ enthalten. Einige Spezialisten kannten die Ergebnisse, waren jedoch „durch Schweigeklauseln am Reden gehindert“, wie die beteiligte Forscherin Jane Garland im Nachhinein klagte.

Von drei Studien publizierte GlaxoSmithKline nur eine einzige in einer Fachzeitschrift. Bei der waren die Hauptwirkungen von Seroxat zwar auch nicht besser als jene des Placebos. Doch die gesponserten Forscher konzentrierten sich nach bewährter Methode auf Nebenbefunde und resümierten, das Mittel sei bei Heranwachsenden „wirksam“. Sie nahmen nicht weiter tragisch, dass fünf Behandelte „emotionale Labilität“ zeigten, womit in erster Linie Selbstmordgedanken umschrieben wurden. In der Placebo-Gruppe gab es nur einen solchen Fall.

2003 warnte die britische Arzneimittelbehörde nach Analyse der Daten davor, Minderjährigen Seroxat oder eines von fünf vergleichbaren Medikamenten zu verordnen: wegen erhöhter Selbstmordgefahr und zweifelhaftem Nutzen. Andere Länder schlossen sich an. „Nach Diskussionen“ mit der kanadischen Gesundheitsbehörde tat GlaxoSmithKline selbst öffentlich kund, das Mittel habe „keine größere Wirksamkeit bei Depressionen als Placebo gezeigt“ und sollte wegen „eines möglicherweise erhöhten Risikos suizidbezogener Nebenwirkungen“ bei Minderjährigen „nicht verwendet werden“.

 


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