| Home | Hören, was nicht erklingt - Gehirnforscher auf der Spur
  akustischer Täuschungen | 
| SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Sprecher/in: Michael Speer, Achim Hall,
  Ines Haffner Regie: Tobias Krebs Redaktion: Sonja Striegl Sendung: Freitag, 19. Dezember 2008, 08.30
  Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
  weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des
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  oder über das Internet: www.swr2.de/radioclub. SWR2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de ATMO 1: Töne Sprecher: Die Töne scheinen immer tiefer zu werden und
  immer langsamer. ATMO 1: Töne Sprecher: Doch obwohl die Töne immer tiefer klingen, kommen sie nie
  unten an - sie sind noch immer im gleichen Höhenbereich wie am Anfang. Und obwohl die
  Abstände zwischen ihnen inzwischen riesig sein müssten, hat sich das Tempo nicht verändert. Es könnte endlos so weitergehen. Die Tonfolge
  ist eine Illusion, geschaffen von dem französischen Komponisten und Akustikforscher
  Jean-Claude Risset. Es gibt viele solche Illusionen. O-Ton 1 - Jean-Claude Risset: These illusions are ways to deceive hearing
  but they tell us a lot about how hearing works and this is of course used in
  music. The mechanisms of hearing are taken advantage of for pleasure rather
  than for survival of course. But I think the illusion illustrates some
  aspects of hearing and that of course are central to music like pitch and
  rhythm. Übersetzer: Diese Illusionen täuschen das Gehör, aber sie verraten uns viel darüber, wie das Gehör arbeitet und das wird in der Musik natürlich eingesetzt. Man benutzt die
  Mechanismen des Hörens zum Vergnügen anstatt zum Überleben. Ich glaube, die Illusionen
  demonstrieren wichtige Aspekte des Hörens wie Tonhöhe und Rhythmus, die natürlich zentral sind für die Musik. ATMO 1: Töne Sprecherin: „Hören, was nicht erklingt - Gehirnforscher auf der Spur
  akustischer Täuschungen". Eine Sendung von Jochen Paulus. ATMO 1: Töne Sprecher: Es scheint alles so klar und einfach: Menschen und Tiere,
  Musikinstrumente und andere Dinge geben Laute einer bestimmten Tonhöhe und Lautstärke von sich und genauso nehmen Menschen
  sie wahr. Doch so einfach ist es nicht. Das Gehirn schummelt - auch und
  gerade in der Musik. Musik: Strauss „Elektra - Weh ganz allein" Sprecher: Mühelos lässt sich der Sopran der Opernsängerin aus dem Gesamtklang heraushören. Musik: Strauss „Elektra - Weh ganz allein" Sprecher: Dabei ist ein ganzes Orchester allemal lauter als eine einzelne menschliche
  Stimme und in der klassischen Oper wird ohne Mikrofon gesungen. Musik: Strauss „Elektra - Weh ganz allein" Sprecher: Dieses Kunststück gelingt nur, weil Menschen oft Töne wahrnehmen, die eigentlich gar nicht hörbar sind. Die Stimme der Sängerin ist eine akustische Täuschung - jedenfalls zum Teil. Wer in der
  Oper singen will, muss während seiner Ausbildung lernen, wie sich
  das Gehirn der Opernfreude überlisten lässt. Wolfgang Stroh, emeritierter Professor
  für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Oldenburg, erläutert, wie die ArienKünstler das anstellen. O-Ton 2 - Wolfqanq Stroh: Ein Sänger, ein Pavarotti oder so einer, der
  trainiert seine Stimme so, dass seine Formantbereiche, also die Bereiche, in
  denen er starke Obertöne hat, dass die außerhalb des durchschnittlichen
  Orchesterklangs liegen, Sein Grundton, also die Tonhöhe, die der Komponist komponiert, der liegt
  ja mittendrin im Orchesterklang. Und trotzdem hört man ihn. Man hört ihn, weil er starke Obertöne außerhalb des durchschnittlichen
  Orchesterklangs hat. Sprecher: Wer in der Oper einfach normal und durchaus richtig singt,
  dringt nur schlecht durch, wie die folgende Aufnahme mit einem nicht ausgebildeten
  Sänger demonstriert. Musik: Winfried Fechner / Arie: „In diesen heil'gen Hallen" Sprecher: Franz Gerihsen, ein professioneller Opernsänger, ist deutlich besser zu hören, obwohl das Orchester gleich laut
  spielt wie im letzten Beispiel. Musik: Franz Gerihsen / Arie: „In diesen heil'gen Hallen" Sprecher: Wenn allerdings ausschließlich die Obertöne zu hören wären, klängen Opernsänger arg hoch. Die volle Stimme erklingt
  nur, weil das Gehirn sich ständig die untergegangenen Grundtöne dazu denkt. Darin liegt die Hörillusion. Sie funktioniert, weil jeder
  Grundton seine ureigenen Obertöne hat. Wenn im Gehirn also nur die Obertöne ankommen, kann es erschließen, was eigentlich gesungen wird und den
  fehlenden Klang ergänzen. Auch ein einzelnes Instrument kann
  sich so über alle anderen erheben. Musik: Schumann: Konzert d-Moll (Kolja Blacher mit Gürzenich Orchester) Sprecher: Eine Stradivari, 1730 von dem berühmten italienischen Geigenbauer
  konstruiert. Seine Instrumente sind legendär. Wolfgang Stroh verrät ihr Geheimnis. O-Ton 3 - Wolfqanq Stroh: Eine Stradivari-Geige zum Beispiel hat auch relativ hohe
  Formantbereiche, die klingt deshalb sehr strahlend und hell und kann über ein durchschnittliches Orchester hinaus
  gehört werden. Sprecher: Besonders gut lässt sich der Effekt des wiedergefundenen
  Grundtons mit einer Klangfolge demonstrieren, die ein Computer erzeugt hat. ATMO 2: Fehlender Grundton O-Ton 4 - Wolfqanq Stroh: Nacheinander werden die tiefen Töne entfernt und dann hört man so in etwa, was übrig bleibt. Also man hört sozusagen eine Tonhöhe, die es gar nicht mehr gibt, weil der
  Grundton dann nicht mehr da ist. Aber die Obertöne lassen in unserem Gehirn sozusagen den
  Grundton entstehen. Sprecher: Entsteht dieser Effekt im Kopf, weil die Menschheit musikalisch
  so gebildet und trainiert ist? Kaum. Schon das Gehirn von Krallenaffen funktioniert
  so. Man kann sie zwar nicht fragen, ob sie gerade ein A hören oder nicht. Aber Daniel Bendor von der
  Johns Hopkins Universität in Baltimore hat Elektroden ins Gehirn
  der Äffchen gesteckt, um zu sehen, wie es Musik verarbeitet. Im
  Sommer 2005 veröffentlichte er das Resultat: Bestimmte Nervenzellen im Gehirn
  der Tiere reagieren gleich - egal ob das Tier einen reinen Ton hört oder das zugehörige Obertongemisch ohne diesen Grundton
  selbst. ATMO 2: Fehlender Grundton Sprecher: Warum können die Affen das, obwohl sie doch eher
  selten iPods lauschen, wie das Wissenschaftsmagazin Nature anmerkte?
  Abgesehen von Musikinstrumenten bringen fast nur Lebewesen solche
  Kombinationen von Grund- und Obertönen hervor. Tierstimmen lassen sich daran
  also vom Hintergrundlärm des Tropenwalds unterscheiden. Und
  Krallenaffen sind sehr kommunikationsfreudige Tiere. Darum wohl hat die
  Evolution die Fähigkeit hervorgebracht, sich fehlende Grundtöne einfach zu denken. ATMO 2: Fehlender Grundton Sprecher: Raffinierte
  Tonmischungen sind auch das Geheimnis einer klassischen Hörtäuschung, dem Shepard-Effekt. Er ist nach
  dem Psychologen Roger Shepard benannt, der ihn in den 60-er Jahren in den
  amerikanischen Bell Laboratories im amerikanischen Bundesstaat New Jersey
  konstruiert hat. ATMO 3: Shepard-Effekt Sprecher: Jeder Ton scheint höher zu sein als der vorhergehende. Doch so
  sehr die Töne auch steigen, sie kommen nie irgendwo oben an. Auch der französische Komponist Risset hat viel mit diesem
  Effekt experimentiert. Er lebt heute in Marseille und ist emeritierter
  Forschungsdirektor des dortigen Laboratoire de Mécanique et d'Acoustique. In den 60-er
  Jahren arbeitete er ebenfalls in den Bell Laboratories und verfeinerte den
  Shepard-Effekt dort zu einem scheinbar einzigen stufenlos ansteigenden
  Gleitton. ATMO 4: „A sound
  which seems to go up forever" Sprecher: Eine sehr einfache Version dieses Effekts lässt sich am heimischen Klavier erzeugen,
  man braucht allerdings mehrere Spieler. Jeder bekommt eine Oktave zugewiesen.
  Nun schlagen alle gemeinsam den Ton C an - natürlich jeder in seiner Oktave. Es folgen D,
  E, F und so weiter
  durch die ganze C-Dur-Tonleiter und anschließend wieder von vorn. Allein dadurch
  entsteht noch keine akustische Illusion, sondern nur eine vielstimmige
  Tonleiter, die immer wieder von vorn beginnt. Doch es gibt einen Trick: Die
  Spieler schlagen ihren jeweiligen Ton nicht alle gleich laut an. Zu Beginn,
  also beim tiefsten Ton der Tonleiter, hauen die Spieler an den oberen Oktaven
  besonders laut in die Tasten. Dann werden sie allmählich leiser, während die Kollegen an den unteren Oktaven
  von Ton zu Ton immer lauter werden. Sie kompensieren damit, dass in der Tonleiter
  immer höhere Töne gespielt werden. Wenn alle gemeinsam
  beim höchsten Ton ihrer Oktave angekommen sind, klingt die Mischung
  dadurch so tief, dass gar nicht auffällt, was jetzt passiert: Die Spieler fangen
  wieder bei ihrem untersten Ton an, wobei aber wieder die an den oberen
  Oktaven viel lauter spielen als die an den unteren. Der Shepard-Effekt und seine Varianten
  zeigen, dass die Wahrnehmung von Tönen viel komplizierter funktioniert, als es
  in vielen Büchern steht und vielen Menschen bewusst ist. Die wahrgenommene Höhe eines Tons entspricht nicht einfach
  seiner Frequenz. Und genau darin besteht natürlich die Illusion: Man hört etwas, was der physikalischen Realität nur teilweise entspricht. Jean-Claude
  Risset: O-Ton 5 - Jean-Claude Risset: In a way you
  don't really descend, in another
  way you do. And so pitch is not frequency, pitch is more complicated. Pitch
  is a percept we hear in music class whereas
  frequency is a physical parameter. These are the two dimensions of pitch.
  The circular aspect - C, D, E
  et cetera - and the low - high. The low - high of course is linear
  and so it goes only in one direction. Übersetzer: In einem gewissen Sinn geht es nicht abwärts, in einem anderen doch. Daher ist die
  Tonhöhe nicht gleich Frequenz, die Tonhöhe ist etwas Komplizierteres. Die Tonhöhe ist etwas Wahrgenommenes, während die Frequenz etwas Physikalisches
  ist. Die Tonhöhe hat zwei Dimensionen: den kreisförmigen Aspekt - C, D, E und so weiter -
  sowie hoch -tief. Dieses hoch - tief ist natürlich linear und geht somit nur in eine
  Richtung. Sprecher: Schon lange
  vor Shepard spielten viele Komponisten mit der Kreisförmigkeit der Tonleitern. Solche Tonkreise
  tauchen zuerst in der englischen Klaviermusik des 16. Jahrhunderts auf, später drehten sich beispielsweise bei Bach,
  Scarlatti und Haydn die Tonleitern im Kreis. Diese Komponisten zielten wohl
  noch nicht auf musikalische Illusionen. Doch Beethoven orchestrierte eine
  zirkuläre Passage seiner 3. Leonoren-Ouvertüre auch in der Lautstärke der einzelnen Instrumente so, dass
  Musikwissenschaftler die Ouvertüre für den ersten musikalischen Vorläufer des Shepard-Effekts halten. Musik: Beethoven „Leonoren-Ouvertüre Nr. 3" Sprecher: Noch präziser als Beethoven hat Alban Berg den
  Shepard-Effekt in seiner Oper „Wozzeck" vorweggenommen, die 1925
  uraufgeführt wurde. Wozzeck tötet seine Geliebte Marie mit einem Messer.
  In der vorletzten Szene sucht er in einem Teich die Tatwaffe, findet sie
  nicht und weiß, dass sie ihn verraten wird. Und dann erklingt diese Musik: Musik: Alban Berg „Wozzeck" O-Ton 6 - Jean-Claude Risset: Alban Berg has used a very dramatic
  circularity effect. A kind of eternal ascent. So it gives a very strange
  impression - in that case of being trapped. And this is a very kind of scary
  passage and so it sounds as so one cannot get out of it through the
  circularity effect. Übersetzer: Alban Berg setzte den Effekt der Kreisförmigkeit sehr dramatisch ein. Es ist eine
  Art ewiger Anstieg. Er erzeugt einen sehr seltsamen Eindruck - in diesem Fall
  den, in einer Falle zu sitzen. Das ist eine sehr unheimliche Passage und es
  klingt ausweglos wegen der Kreisförmigkeit. Sprecher: Inspiriert von Alban Berg hat Jean-Claude Risset den Effekt in
  seiner Komposition „Fall" dramatisch ähnlich eingesetzt, wobei er ihn aber mit
  einem Computer erzeugt hat. Es geht es um einen Piloten, der am Abwurf der
  Atombombe auf Hiroshima beteiligt war und der Erinnerung daran nicht
  entkommt. Musik: Jean-Claude Risset „Fall" O-Ton 7 - Jean-Claude Risset: I had a
  specific request to make incidental music for a play: "Little Boy"
  by Pierre Halet. Little Boy is the codename of the atomic bomb of Hiroshima and
  there is a scene where the principal character identifies himself with the
  bomb and falls. Like the bomb except it is not the real fall, it's a kind of
  mental collapse and it has no bottom. Übersetzer: Ich hatte den Auftrag, Musik für das Theaterstück „Little Boy"
  von Pierre Halet zu schreiben. „Little Boy"
  war der Codename für die Atombombe von Hiroshima. Es gibt eine Szene, in der sich die
  Hauptperson mit der Bombe identifiziert und fällt. Wie die Bombe, nur dass es kein
  wirklicher Fall ist, sondern eine Art Nervenzusammenbruch und es ins
  Bodenlose geht. Musik: Jean-Claude Risset „Fall" Sprecher: Auch die Elektronikrocker von Pink Floyd haben auf einer ihrer
  Platten mit Shepard-Tönen gespielt. Und natürlich basieren die endlos fallenden Töne, die am Anfang der Sendung zu hören waren, ebenfalls auf dem
  Shepard-Effekt. ATMO 1: Töne Sprecher: Aber wie hat es Risset geschafft, auch noch das Tempo scheinbar immer
  weiter zu verlangsamen, obwohl es in Wirklichkeit gleich bleibt? Mit einer
  Variation des gleichen Tricks. O-Ton 8 - Jean-Claude Risset: Now I thought
  it would be very nice to use the same process I had used for pitch by adding
  octaves of rhythm which means when you have one rhythm and the rhythm two
  times faster the beat - two times faster is like the octave. And in fact,
  well I can try to beat the kind of rhythm that doubles gradually. At the
  beginning I have a beat and the beat twice as fast is not as loud and if I
  increase the loudness it gradually comes two times faster without ever
  changing metronomic tempo. Now I will try that (klopft) Übersetzer: Ich dachte, es wäre schön, die gleiche Methode zu nutzen, die ich für die Tonhöhe benutzt hatte. Ich fügte „Rhythmus-Oktaven" hinzu. Das heißt: Man nimmt einen Rhythmus und einen
  anderen, der doppelt so schnell ist, das ist wie eine Oktave. Ich kann
  versuchen, einen Rhythmus zu klopfen, der sich allmählich zu verdoppeln scheint. Am Anfang habe
  ich einen Rhythmus und der doppelt so schnelle ist nicht so laut. Wenn ich
  seine Lautstärke allmählich steigere, klingt das Ganze schließlich doppelt so schnell ohne je das Tempo
  wirklich zu ändern. Ich versuche es mal: (klopft) Sprecher: Risset hat diese Klopftechnik anhand
  theoretischer Überlegungen entwickelt. Doch auch sie hat einen Vorläufer in der Musik: Die indonesischen
  Gamelan-Schlagzeuger beherrschen diese Rhythmuskunst schon seit
  Jahrhunderten. Auch Yoshitaka Nakajima, Professor für akustisches Design an der japanischen
  Kyushu Universität, hat einen Weg gefunden, unser Empfinden der verstreichenden
  Zeit zu manipulieren. In seinem folgenden Werk erklingen immer drei Klopftöne schnell hintereinander. Achten sie jetzt
  mal darauf, wie groß jeweils der Abstand zwischen dem zweiten
  und dem dritten Klopfton ist und ob er sich verändert. ATMO 5: time-shrink Sprecher: Die richtige Antwort lautet natürlich: Der Abstand zwischen dem zweiten und
  dem dritten Klopfton ändert sich nicht. Aber wir hören es anders. Wird der Abstand zwischen
  den ersten beiden Klopftönen geringer, wirkt ab einem bestimmten
  Punkt auch der zweite Abstand kleiner. Wahrscheinlich erklärt sich das Phänomen so: Um bei den ersten Intervallen
  noch mitzukommen, verarbeitet das Gehirn die Tonfolgen schneller. Und daher
  kommen ihm auch die zweiten Intervalle kürzer vor. ATMO 5: time-shrink Sprecher: Klangbastler Nakajima kann noch mehr. Zum Beispiel hat er eine
  Melodie konstruiert, deren Klänge in Wirklichkeit aus Stille bestehen -
  so unglaublich das klingt. ATMO 6: „A Melody of
  Silences" Sprecher: „Melody of Silences" hat Nakajima
  dieses Stück genannt. Wir hören - arg scheppernd, aber immerhin - das
  Kinderlied „Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst du noch?". Die vermeintlichen Töne sind in Wirklichkeit nur Lücken in Dauertönen. Sieben Töne erklingen hier im Dauerbetrieb. Nur wenn
  eine Note gerade an der Reihe ist, wird der entsprechende Dauerton kurz
  unterbrochen. Das Gehirn jedoch will nicht darauf verzichten, wie gewohnt
  einen Ton nach dem anderen zu hören. Es kapriziert sich daher einfach immer
  vor allem auf den Ton, der nach einer kurzen Pause gerade wieder neu beginnt,
  und zwar so lange, bis der nächste neu einsetzt. So entsteht im Kopf auf
  seltsame Weise die altbekannte Melodie. ATMO 6: „A Melody of
  Silences" Sprecher: Wir können also eine Melodie hören, die durch Pausen entsteht. Wir können aber auch das Gegenteil: Wir überhören häufig eine Melodie, die laut und klar an
  unsere Ohren dringt. Und wir finden das auch noch ganz normal. Der Effekt
  tritt immer dann auf, wenn wir gesprochene Worte hören. Doch er lässt sich sehr einfach ausschalten und dann
  hören wir Sprache als das, was sie wirklich ist, nämlich Musik. Das fand Professorin Diana
  Deutsch von der University of California in San Diego heraus. Die
  Musikpsychologin hat viele akustische Täuschungen erzeugt. Dass Sprache wirklich
  Musik in unseren Ohren sein kann, entdeckte sie zufällig, als sie Sprachaufnahmen von sich
  selbst bearbeitete. In dem folgenden schlichten Satz redet Diana Deutsch darüber, dass sich Klänge manchmal so seltsam verhalten, wie man
  es nicht für möglich gehalten hätte. Genau das passiert dann mit einem Teil
  des Satzes, während er viele Male wiederholt wird. ATMO 7: „They sometimes behave so strangely"
  Sprecher: Die wiederholten Worte klingen auf einmal
  wie gesungen. Jetzt noch einmal der ganze Satz. ATMO 7: „They sometimes behave so strangely"
  Sprecher: Wieder scheint die vorhin wiederholte
  Passage gesungen. Doch in Wirklichkeit hat sich nichts verändert. Es ist immer noch der gleiche,
  normal gesprochene Satz. Bei einem Experiment von Diana Deutsch sollten Sänger wiederholen, was sie hörten. Sie sangen die wiederholte Passage. O-Ton 9 - Diana Deutsch: What I think
  is happening is that in the context of normal speech we suppress the musical
  qualities of sound. So we can focus better on vowels, consonants and so on.
  But by repeating the phrase over and over, this suppression effect is
  overcome. In point of fact we should be hearing this phrase as sung from the
  very start. The fact that we don't, that we hear it differently is the
  mystery. Rather than the fact that it's heard as sung. Übersetzerin: Ich denke, dass Folgendes passiert: Normalerweise unterdrücken wir die musikalischen Qualitäten des Sprachklangs, damit wir uns besser
  auf die Vokale, Konsonanten und so weiter konzentrieren können. Denn so bekommen wir unsere
  Informationen. Aber wenn eine Phrase stetig wiederholt wird, wird die Unterdrückung überwunden. Eigentlich sollten wir die
  Phrase von Anfang an gesungen hören. Dass wir es nicht tun, ist das Rätsel. Sprecher: Aber das Gehirn legt eben keinen Wert darauf, unter allen Umständen korrekt zu hören. Die Evolution hat es darauf getrimmt,
  so gut wie möglich dem Überleben zu dienen. Da ist es im
  Zweifelsfall besser, zu verstehen, was gemeint ist und Worte keine Musik in
  den Ohren sein zu lassen. Aus dem gleichen Grund nutzt das Gehirn
  seine Illusionskünste, um Phänomene hörbar zu machen, die eigentlich gar nicht hörbar sind. Menschen haben vorne und hinten
  keine Ohren, aber sie merken sehr deutlich, wenn ihnen etwas um den Kopf
  herumschwirrt. Der Akustikforscher Jean-Claude Risset hat für dieses Beispiel auch einige Tricks verwendet,
  die sein Freund John Chowning entwickelt hat, ebenfalls ein Klangkünstler und Komponist. ATMO 8: „A sound which goes down the scale, yet
  higher at the end, with beats which seem to slow down, yet are faster at the
  end, and giving the impression to rotate in space." O-Ton 10 - Jean-Claude Risset: Chowning found that you could give the
  impression of a sound that goes far by diminishing the direct sound and let
  it get more or less lost in the reverberated sound produced by the room. And
  this is very striking. You give the impression that that sounds really
  recedes. And also he gave the impression of a fast source by simulating the
  Doppler effect. The Doppler effect you know, when a car comes by (ahmt
  Doppler-Effekt nach) diminishing of frequency and this gives strongly the
  illusion of a fast movement. Übersetzer: Chowning fand heraus, dass man den Eindruck eines sich
  entfernenden Tones erzeugen kann, indem man den direkt ankommenden Klang
  leiser macht und ihn mehr oder weniger im Hall untergehen lässt, den der Raum erzeugt. Das ist sehr
  beeindruckend. Man hat den Eindruck, der Klang entfernt sich. Außerdem erzeugte Chowning den Eindruck, dass
  sich die Schallquelle entfernt, indem er den Dopplereffekt simulierte. Den
  Dopplereffekt kennt man von vorbeifahrenden Autos (ahmt DopplerEffekt nach),
  wobei sich die Frequenz ändert und das vermittelt sehr stark die
  Illusion schneller Bewegung. Sprecher: Wenn Sänger heute im Studio eine CD aufnehmen, fügen die Toningenieure routinemäßig Hall hinzu. So entsteht Raumklang. Wenn
  die Käufer dem Werk später mit dem Ohrhörer ihres Miniplayers lauschen, haben sie
  deshalb nicht den Eindruck, dass Mick Jagger ihnen gleich das Ohr ablecken
  wird. Doch entwickelt hat sich die Fähigkeit, ein Klangmodell der Welt im Kopf
  zu erschaffen, aus einem ganz anderen Grund. O-Ton 11 - Jean-Claude Risset: We know when
  we hear a sound whether it's far away and at big level or close and very soft.
  Even it's the same amount of decibels. So this is very useful information
  which is very difficult to extract. Hence our hearing is doing wonders
  because it was so important, vital to know about the outside world and the
  possible dangers. Übersetzer: Wenn wir einen Klang hören, wissen wir, ob er weit weg und laut
  ist oder nahe und leise. Selbst wenn die Lautstärke in Dezibels sich nicht unterschiedet.
  Das ist eine sehr nützliche Information, aber sehr schwierig in
  der Analyse. Sprecher: Dem Gehirn kommt es vor allem darauf an, ein sinnvolles Bild der
  mutmaßlichen Wirklichkeit zu konstruieren. Wenn die Ohren etwas
  melden, was das Gehirn für unplausibel hält, biegt es die Sinneseindrücke einfach zurecht und es entsteht ein
  ganz anderer Höreindruck. Dieser Mechanismus lässt sich für eine sehr schöne musikalische Illusion nutzen. ATMO 9: Cambiata-Illusion Sprecher: Die meisten Menschen hören im rechten Ohr hohe Töne, die eine Melodie bilden, und im linken
  Ohr tiefe Töne, die ebenfalls eine Melodie bilden. In Wirklichkeit springen
  die hohen Töne jedoch wild zwischen beiden Selten hin und her und die tiefen
  machen es genauso. Das kommt dem Gehirn aber unwahrscheinlich vor, da im
  wirklichen Leben nichts, was einen Ton von sich gibt, ständig blitzartig die Seiten wechselt.
  Deshalb nimmt das Gehirn einfach an, dass alle hohen Töne von der einen Seite kommen und alle
  tiefen von der anderen. So hören wir es dann. ATMO 9: Cambiata-Illusion Sprecher: Wenn es sein muss, sortiert das Gehirn mental sogar die
  Instrumente im Konzertsaal um. Dem Komponisten Peter Tschaikowski war dies
  wohl nicht klar, als er eine Passage seiner 6. Sinfonie etwas eigenwillig
  orchestrierte. Musik: Tschaikowski „6. Sinfonie" Sprecher: Die ersten Geigen begannen mit dem ersten Tons des Themas. Die
  zweiten Geigen setzten es mit dem zweiten Ton fort, allerdings auf der gegenüberliegenden Seite des Orchesters, denn
  dort waren sie zu Tschaikowskis Zeiten platziert. So wechselten die Töne des Themas immer hin und her. Die
  Geiger, die gerade nicht mit dem Thema beschäftigt waren, spielten die Begleitung, deren
  Töne ebenfalls hin und her wechselten. Doch die Konzertbesucher hörten durchgängig auf der einen Seite das Thema und auf
  der anderen die Begleitung, hat die amerikanische Musikpsychologin Diana
  Deutsch herausgefunden: O-Ton 12 - Diana Deutsch: I have set it
  up in two different orchestras in two different concert halls with the
  orchestras arranged in 19. century fashion and the illusion is very, very
  striking. It's amazing to discover that in fact what the first violins and
  the second violins are playing is quite different from what you are hearing. Übersetzerin: Ich habe zwei verschiedene Orchester in zwei verschiedenen
  Konzertsälen so platziert wie es im 19. Jahrhundert üblich war. Die Illusion ist außerordentlich eindrucksvoll. Es ist verblüffend, dass das, was die ersten und zweiten
  Geigen spielen, etwas ganz anderes ist als das was man hört. Sprecher: Bei modernen Orchestern sitzen die ersten und die zweiten Geigen
  nebeneinander, so dass Tschaikowskis Hin und Her ohnehin kaum zu hören wäre. Aber dass die meisten Menschen hohe Töne eher rechts und tiefe eher links hören, hat immer noch Folgen. Egal ob
  Symphonieorchester, Streichquartett oder Chor: Die hohen Stimmen sitzen meist
  rechts - von den Musizierenden aus gesehen. Dummerweise sitzen sie damit vom
  Publikum aus gesehen genau falsch herum - alle sind auf der Seite, wo sie am
  schlechtesten gehört werden. Möglicherweise wird deshalb oft geklagt, dass
  die Celli viel zu leise seien. Dieses Phänomen ist als das „Geheimnis der verschwindenden Celli"
  bekannt und wird üblicherweise der Akustik des Konzertsaals
  angelastet. O-Ton 13 - Diana Deutsch: If we
  consider what we now know about the left-right disposition of instruments in
  orchestra - if the cellos are to the right of the audience and of course they
  are going to be playing low notes we should in point of fact expect
  particularly disruption of low sounds such as from the cello. Übersetzerin: Wenn die
  Celli rechts sind - und natürlich spielen sie tiefe Töne - müssen wir zwangsläufig Probleme mit den Celli erwarten, wenn
  wir berücksichtigen, was wir über die Rechts-Links-Vorliebe wissen. Sprecher: Schade um die Celli. Aber auf der
  anderen Seite können wir Musik
  nur hören und
  empfinden, weil unser Gehirn so arbeitet, wie es arbeitet - und eben weil es
  sich täuschen lässt. Noch einmal der französische Komponist Jean-Claude Risset: O-Ton 14 - Jean-Claude Risset: You might say
  that music is a deception to the ear and makes us believe that the world is
  harmonious or pointful, it has a goal whereas in effect it's a pleasure of
  stopping time whereas time is flowing but during the listening in the best of
  cases you are sort of absorbed by the time of the composition and so in some
  way you've the illusion that you master time. But of course
  time goes by anyway. Übersetzer: Man kann sagen, dass Musik eine Täuschung des Ohres ist. Sie lässt uns glauben, dass die Welt
  harmonisch ist und einen Sinn hat. Es ist das Vergnügen, die Zeit anzuhalten. Die Zeit
  fließt, aber wenn man
  Musik hört, versenkt man
  sich im besten Fall in die Zeit der Komposition und hat so die Illusion, die
  Zeit zu beherrschen. Aber natürlich geht die Zeit trotzdem vorbei. 
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