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Von Super- und Pseudo-Therapeuten
 Wer kann bei seelischen Problemen wirklich helfen?
(SWR2, 20. Juni 2012)

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Musik (neutral) kurz anspielen und unter O-Töne von Betroffenen, am Ende kurz hoch

O-Ton 1 - Betroffene/r 1:

Und da habe ich dann mal mit dem Dr. Weeß einen Termin ausgemacht, war hier in seiner Sprechstunde. Er hat sich eine Stunde Zeit genommen für mich. Er hat sich diese ganze Geschichte des Symptoms angehört und hat dann ein paar Dinge gesagt, die mir so sehr nahe gingen zum einen und die mir auch zu denken gaben. Und dann ist was ganz Eigenartiges passiert. Ich bin nach Hause gefahren und habe dann in derselben Nacht auch nicht geschlafen, aber dann in der darauf folgenden Nacht habe ich hervorragend geschlafen. Und dann habe ich sieben Wochen lang hervorragend geschlafen.

 

Sprecher:

Psychotherapeuten können helfen. Ihre Verbandsvertreter verbreiten diese Botschaft unermüdlich, und sie ist richtig. Was sie nicht sagen: Die Unterschiede zwischen den einzelnen Therapeuten sind riesig. Manche helfen fast immer, andere fast nie.

 

Sprecherin:

„Von Super-Therapeuten und Pseudo-Psychiatern - Wer kann bei seelischen Problemen wirklich helfen?" Eine Sendung von Jochen Paulus.

 

O-Ton 2 - Betroffene/r 2:

Durch meine Problematik hat mir niemand zugehört, das hat mich sehr depressiv gestimmt. Ich bin dann zum Psychotherapeuten, da musste ich erst mal einen Otto­Katalog von Fragen ausfüllen und wurde auch ein Gerät mitlaufen lassen. Dann habe ich erzählt und zum Schluss hat der Therapeut dann gesagt, ja, was wollen sie überhaupt, ich verstehe sie auch nicht.

 

Sprecher:

Vor etwa fünfzig Jahren behandelten zwei Psychotherapeuten in einer amerikanischen Einrichtung psychisch kranke Jugendliche. Einige galten als schwere Fälle. Sie fühlten sich fast unerträglich verletzlich, ängstlich und einsam. 1974 erschien eine Studie, die berichtete, was aus ihnen geworden war. Die Hälfte erkrankte an Schizophrenie, einer der schwersten Geisteskrankheiten. Doch von den Patienten des einen Therapeuten erkrankten 84 Prozent, von denen des anderen nur 27 Prozent. Diesen hatte ein Junge „Supershrink" genannt - Superpsychiater. Als die Wissenschaftler seine Therapieerfolge sahen, übernahmen sie diese Bezeichnung. Den anderen Therapeuten nannten Forscher später „Pseudoshrink" - Pseudopsychiater. Von den schwer belasteten Jungen, die er behandelt hatte, waren drei Mal mehr schizophren geworden als bei seinem Kollegen „Mister Supershrink".

 

So dramatisch sind die Folgen selten, aber gute Therapeuten zu finden, ist auch sonst Glückssache. Professor Wolfgang Lutz, Therapieforscher an der Universität Trier hat psychologische Behandlungen in vielen Studien unter die Lupe genommen:

O-Ton 3 - Wolfgang Lutz:

Es gibt Therapeuten, die etwa viermal so gut abschneiden als andere, und wir wissen aber leider nicht so richtig, warum diese Supershrinks, woran das genau liegt. Aber es gibt die Unterschiede.

 

Sprecher:

Sie zeigten sich auch in einer US-Studie mit dem schönen Titel „Waiting for supershrink"- Warten auf den Superpsychiater. Sie belegt, dass manche Therapeuten keineswegs nur an extrem schweren Fällen scheitern wie in der ersten Supershrink-Studie. Im Beratungszentrum einer Universität wurden knapp 1800 Studentinnen und Studenten behandelt, die vor allem an Depressionen und Ängsten litten. Manche hatten Glück und kamen zu exzellenten Therapeuten. Die drei Spitzenkräfte brachten in nur zweieinhalb Sitzungen im Schnitt gleich vier Symptome zum Verschwinden. Doch die drei schlechtesten Therapeuten veränderten bestenfalls gar nichts. Der führende Therapieforscher Professor Michael Lambert von der Brigham Young University in Utah war an der Studie beteiligt:

 

O-Ton 4 - Michael Lambert:

It's surprising you know ... They actually spent more time with them than the average therapist.

 

Sprecher 2 (Übersetzung Lambert):

Wir waren überrascht, denn unter den Therapeuten, die wir untersucht haben, haben wir einen gefunden, dessen Patienten es im Durchschnitt schlechter und schlechter ging. Und er hat seine Patienten sogar länger in Behandlung gehalten als normal. Es war also nicht so, dass er sie nur einmal gesehen und dann weggeschickt hätte. Die schlechten Therapeuten wenden sogar mehr Zeit auf als der durchschnittliche Therapeut.

 

Sprecher:

Auch Holger Reiners hat etliche zweifelhafte Therapeuten kennengelernt. Heute arbeitet Reiners als Architekt und Unternehmensberater, außerdem schreibt er Bücher über die Erfahrungen von Psychotherapie-Patienten. Er war selbst einer, denn er litt jahrelang unter schweren Depressionen.

 

O-Ton 5 - Holger Reiners:

Ich habe nur bemerkt, dass ich plötzlich anders war. Ich habe dann mein Abitur gemacht, angefangen auch zu studieren, aber ich war sehr, geradezu wie gelähmt und ich war früher eigentlich immer ein fröhlicher und gut gelaunter Mensch und danach war diese Leichtigkeit, die war dann plötzlich weg.

 

Sprecher:

Als er dann als Student ein Referat halten sollte, fühlte er sich dazu nicht fähig. Bald darauf gab er das Studium auf. Plötzlich konnte er auch nicht mehr sprechen. Wenn er einkaufen ging, zeigte er im Laden auf die Waren, die er haben wollte. Reiners stammt aus einer Hamburger Unternehmer-Familie. Er hatte die freie Auswahl unter den vermeintlich besten Psychologen und Psychiatern der Hansestadt. Trotzdem machte er bedenkliche Erfahrungen.

 

O-Ton 6 - Holger Reiners:

Ich habe dann, wie das den meisten Menschen auch heute noch geht, eine tatsächliche Odyssee hinter mich bringen müssen, vom Chefarzt einer Uniklinik hier, dann zu seinem Nachfolger, dann zu anderen Ärzten, mit den abenteuerlichsten Erfahrungen. Zum Beispiel hat der eine Chefarzt zu mir gesagt, ich kam in sein Zimmer rein, er guckte einmal kurz auf und sagte nur, mich gar nicht beachtend, sechs Wochen bei mir stationär, sonst geht gar nichts. Und da habe ich gesagt, zu dem gehst du schon mal nicht.

 

Sprecher:

Auch von anderen Therapeuten fühlte er sich nicht gut behandelt. Doch es gibt eben Therapeuten, die über fast magische Kräfte zu verfügen scheinen. Manche wurden zu Legenden, oft haben sie ihre eigenen Psychotherapieschulen gegründet. Therapieforscher kommen zu dem Schluss, dass der Therapeut überhaupt wichtiger für den Erfolg ist als die Therapiemethode. Bruce Wampold von der University of Wisconsin ist überzeugt, dass dessen Einfluss fünf Mal stärker ist. Der Psychiater ist sogar dann ausschlaggebend, wenn er gar keine regelrechte Psychotherapie macht, sondern einfach Antidepressiva verabreicht und sich dabei ein bisschen um den Patienten kümmert. Als Wampold eine Studie analysierte, in der entweder Medikamente oder Placebos gegeben wurden, zeigte sich: Gute Psychiater, die Placebos verschreiben, helfen besser als schlechte Therapeuten, die echte Antidepressiva verordnen.

 

Musik (neutral) kurz anspielen und unter O-Töne von Betroffenen dazwischen und am Ende kurz hoch

 

O-Ton 7 - Betroffene/r 3:

83, 84 war ich in einer psychosomatischen Klinik in Hofheim am Taunus, war da sieben Monate und da hatte ich viermal in der Woche Therapie. Gesprächstherapie. Aber jetzt im Nachhinein scheint mir das nicht besonders glücklich, denn das war eine Ärztin, die da gerade angefangen hatte und da, das hat noch nicht gegriffen.

 

O-Ton 8 - Betroffene/r 3:

Und dann habe ich 92 bis 95 einen sehr, sehr guten Therapeuten gehabt. Der war in Bonn, der war Diplom-Theologe und Diplom-Psychologe. Und das war wirklich, das war eine Verhaltenstherapie und das war ganz, ganz hervorragend, also diesem Mann hab ich ganz enorm viel zu verdanken.

 

Sprecher:

Was macht manche Psychologen und Psychiater zu guten Therapeuten, andere zu schlechten? Die Wissenschaft hat sich für diese Frage lange kaum interessiert. Die Fachleute untersuchten lieber, ob nun die Psychoanalyse oder die Verhaltenstherapie besser hilft. Oder sie erforschten, welche Eigenschaften des Patienten gute Erfolge versprechen. Die Forscher versuchten, in Studien möglichst standardisierte Therapeuten zu schaffen, indem sie genaue Vorgaben für die Behandlung machten. Trotzdem zeigen sich enorme Unterschiede. Erst seit relativ kurzer Zeit versuchen Wissenschaftler herauszufinden, woher sie kommen. Doch ihre ersten Vermutungen gingen ins Leere. Das Ausmaß der Lebenserfahrung scheint egal zu sein, jedenfalls macht das Alter des Therapeuten keinen Unterschied. Und obwohl Frauen als einfühlsamer gelten, schneiden sie in Untersuchungen nicht besser ab, sagt die Psychologin Julia Eversmann, die sich an der Universität Osnabrück mit Psychotherapieforschung beschäftigt hat:

 

O-Ton 9 - Julia Eversmann:

Natürlich gibt es persönliche Präferenzen, das muss jeder selbst für sich schauen, wo er das Gefühl hat, dass er am besten aufgehoben ist in einer Therapie, ob das ein Mann ist oder eine Frau ist. Aber laut der Forschungsergebnisse, die wir bisher haben dazu, ist es unerheblich.

 

Sprecher:

Nicht einmal Übung macht den Meister. In einer neuen Studie der Universität Dresden wurden die Behandlungsergebnisse von Therapeuten der Hochschulambulanz verglichen. Die meisten befanden sich noch in der Ausbildung und hatten weniger als 300 Stunden Therapieerfahrung. Andere waren dagegen Profis mit Approbation. Den Patienten konnte das egal sein, die Behandlungserfolge unterschieden sich nicht. Der amerikanische Therapieforscher Michael Lambert kommt zu ähnlichen Resultaten:

 

O-Ton 10 - Michael Lambert:

We don't find the experienced therapist to be ... it's rougher, slower, more uncomfortable at times.

 

Sprecher 2 (Übersetzung Lambert):

Erfahrene Therapeuten sind nicht besser, aber sie sind schneller. Man kommt schneller ans Ziel, und wenn man leidet, ist das sehr wichtig. Der Ritt ist sanfter. Wenn man einen unerfahrenen Therapeuten hat, geht es rauer zu, langsamer und manchmal ungemütlich.

 

Sprecher:

Richtig bei ihrer Ehre gepackt fühlen sich die Psychotherapeuten aber durch Studien zum Nutzen ihrer Ausbildung. Bisher lässt sich nämlich nicht belegen, dass das oft jahrelange Training etwas bringt. Schon 1979 ärgerte der damals führende Therapieforscher Hans Strupp die Branche mit einem Vergleich der Fähigkeiten von Psychotherapeuten und denen von College-Professoren anderer Fächer. Letztere hatten keine Therapieausbildung, sondern galten einfach als besonders einfühlsam. Beide behandelten Studenten mit psychischen Problemen. Strupp fand keine Unterschiede bei den Erfolgen. So ging es weiter. In der Bibel der Therapieforscher, „Bergin and Garfield's handbook of psychotherapy and behavior Change", kommt der Psychologie-Professor Larry Beutler von der Palo Alto University zu einem provozierenden Schluss. Die bisherigen Befunde weckten „Zweifel an der Behauptung, dass eine gezielte Ausbildung in Psychotherapie ... etwas mit therapeutischen Erfolgen oder Fähigkeiten zu tun hat". Das will Julia Eversmann dann doch nicht auf ihrem Berufsstand sitzen lassen:

 

O-Ton 11 - Julia Eversmann:

Herr Beutler ist ja durch seine provokante Art, die auch erforderlich ist in der Forschung, bekannt. Allerdings ist seine Äußerung dahin gehend zu verstehen, dass die bisherigen Befunde, die es zu dieser Aussage gibt, was bringt die Ausbildung, methodisch sehr schwach sind und sehr, sehr rar sind.

 

Sprecher:

Andererseits: Wenn eine langjährige Therapieausbildung wirklich viel nützen würde, sollte es ein Leichtes sein, das auch zu beweisen. Vielleicht kommt es auf sie tatsächlich nicht an. In Deutschland läuft ein unkonventioneller Großversuch zu dieser Frage, den nur leider niemand wissenschaftlich begleitet und auswertet. Eine ganze Branche praktiziert völlig legal Psychotherapie, obwohl ihre Mitglieder keine Therapieausbildung nachweisen müssen. Es sind die Heilpraktiker für Psychotherapie. Sie müssen zwar eine Prüfung beim Gesundheitsamt ablegen, doch dafür reichen ein paar theoretische Grundkenntnisse. Die angehenden Heilpraktiker müssen vor allem nachweisen, dass sie erkennen können, wann sie eine Störung nicht behandeln dürfen, beispielsweise weil Medikamente nötig sind. Ansonsten lernen sie, was ihnen selbst sinnvoll erscheint. Dass viele auf die Kenntnisse der Heilpraktiker herabschauen, ärgert Michael Hoffmann. Der Heilpraktiker hat in Frankfurt eine kleine Praxis und wirkt etwas verschnupft bei dem Thema:

 

O-Ton 12 - Michael Hoffmann:

Die berühmte Qualifikation von uns. Genau die werden immer so nach dem Motto gesehen, alles, was keine staatliche Qualifikation ist, ist keine. Infolge dem, wenn also ein Heilpraktiker für Psychotherapie sagt, ich hab' dort die Ausbildung gemacht für den Arbeitsbereich, ich habe dort an dem Institut NLP gelernt, ich habe an dem Institut zum Beispiel jetzt für mich katathyme, imaginative Psychotherapie gelernt, dann ist das ja nicht staatlich und als solches kann man natürlich sagen, solche Lehrer können nix taugen und außerdem, die Prüfungen werden nicht kontrolliert, also ist das auch nix wert.

 

Sprecher:

Imaginative Psychotherapie wird auch von regulären Therapeuten eingesetzt. Dagegen gilt NLP, neurolinguistisches Programmieren, in der Wissenschaft als höchst zweifelhaftes Verfahren. Aber vielleicht kommt es darauf ja gar nicht an. Wenn tatsächlich der Therapeut das Entscheidende ist, helfen Heilpraktiker womöglich genauso gut wie gründlich ausgebildete Psychotherapeuten.

 

O-Ton 13 - Michael Hoffmann:

Wenn wir uns ganz erfolgreiche Therapeuten jetzt mal anschauen, ob man jetzt diese Therapierichtung mag oder nicht, spielt keine Rolle. Nehmen wir Watzlawick, Frankl, Jung, also alle, wenn ich diese Leute sehe, wenn ich sie in alten Filmaufnahmen sehe, auffallend ist, die Persönlichkeit, die die ausstrahlen. Und man kann von Frankls Therapiemethode halten, was man will. Aber dieser Mann hat eine derartige Ausstrahlung, von dem geht eine Suggestivkraft aus, die heilt schon. Der braucht überhaupt keine Methode. Und das gilt für viele andere von diesen Leuten.

 

Sprecher:

Die Heilungsquote von Frankl wurde nie wissenschaftlich überprüft, doch sein Charisma ist unbestritten. Wie viel sich Therapeuten ohne die eindrucksvolle Biografie des KZ-Überlebenden Frankl davon abschauen können, ist allerdings eine andere Frage. Und wie gut Heilpraktiker wirklich helfen, weiß ohnehin niemand, bedauert die Therapieforscherin Julia Eversmann.

 

O-Ton 14 - Julia Eversmann:

Ich sehe das aus meiner Perspektive eher kritisch, wenn es darum geht, schwere Störungsbilder zu behandeln, ist da sicherlich der Erfolg meines Wissens nicht so gegeben, aber das ist jetzt eine reine Spekulation und ich glaube, das ist etwas was es sich lohnt, ganz genau innerhalb der Forschung sich anzuschauen.

 

Sprecher:

Immerhin zeichnen sich in der Forschung ein paar Eigenschaften ab, die gute Therapeuten unabhängig von ihrer Ausbildung brauchen, sagt Therapieforscher Lambert.

 

O-Ton 15 - Michael Lambert:

Generally therapists are not judgmental. And they're not hostile and they're not critical and so they provide a completely different atmosphere. And they do that regardless of the theoretical orientation.

 

Sprecher 2 (Übersetzung Lambert):

Therapeuten halten sich mit Urteilen zurück. Sie sind nicht feindselig, sie sind nicht kritisch, sie schaffen eine völlig andere Atmosphäre. Und das tun sie unabhängig von ihrer Therapierichtung.

 

Sprecher:

Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Längst nicht jeder kann auch einen schwierigen Patienten warmherzig akzeptieren. Erschwerend kommt hinzu: Wenn der Patient dem Therapeuten sympathisch ist, ist es auch nicht leicht. Denn die Beziehung darf umgekehrt auch nicht zu kuschelig werden. Therapeuten sind keine Freunde zum Mieten, warnt die Therapieforscherin Julia Eversmann.

 

O-Ton 16 - Julia Eversmann:

Also es kann Gefahren bergen, weil dem Therapeuten eventuell dann die Distanz fehlt, objektiv zu beurteilen, was jetzt effektiv ist und was nicht. Es wird häufig auch gesagt „rent a friend", also darum geht es nicht. Sondern es geht darum, eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, die zeitlich begrenzt ist und, die das Ziel hat, bestimmte Probleme und Verhaltensweisen der Patienten zu verändern und zu verbessern.

 

Sprecher:

Der Autor und Ex-Patient Holger Reiners ist sich nach jahrelangen Therapieerfahrungen sicher, dass sich Patient und Therapeut nicht einmal besonders sympathisch sein müssen.

 

O-Ton 17 - Holger Reiners:

Es kann auch ein sehr respektvolles Verhältnis sein, sachlich, höflich, freundlich, dass die Grenzen gewahrt bleiben, aber dass man als Patient doch das Gefühl hat, da ist einer an meiner Seite und nicht einer hinter mir oder über mir, sondern der ist wirklich an meiner Seite und hat auch an einem schnellen Behandlungserfolg Interesse und nicht an einer ewig sich hinziehenden, zähen Dauersitzung von mehreren Jahren.

 

Sprecher:

Es gibt allerdings auch Therapeuten, die von Respekt nicht viel halten, sondern auf Konfrontation setzen. Ein klassisches Beispiel lieferten manche Leiter von Gruppentherapien in den 1960-er Jahren. Der inzwischen emeritierte Therapieforscher Irvin Yalom und seine Kollegen nannten sie „aggressive Stimulatoren". So wollte einer dieser Therapeuten eine sanfte Gruppenteilnehmerin mit ihrer angeblichen Wut „in Kontakt bringen", indem er sie aggressiv anging. Obendrein befand er ominös, sie stehe „am Rand der Schizophrenie". Die Frau empfand diese Therapie als destruktiv. Gruppenführer dieses Typs produzierten weit mehr Therapieschäden als ihre zurückhaltenderen Kollegen, etwa Symptome von Ängsten, Depressionen und sogar Psychosen. Heute greifen am ehesten Suchttherapeuten zur Konfrontation, etwa wenn ein Patient seine Abhängigkeit nicht wahrhaben will. Vor allem bei empfindlichen Patienten ist dieser Stil riskant. Kann er auch helfen? Die Therapieforscherin Julia Eversmann:

 

O-Ton 18 - Julia Eversmann:

Ja, also es gibt tatsächlich bei der Behandlung von Alkoholikern, die Erkenntnis, dass die Konfrontation der Patienten mit bestimmten Problemen oder auch klaren Verhaltensverstößen beispielsweise, einen Effekt hat. Die Frage ist natürlich, der Ton macht die Musik, wie konfrontiert man? Also man kann auch freundlich konfrontieren und es ist wichtig, dass man als Therapeut sich nicht in die Feindseligkeit mit reinziehen lässt, wenn beispielsweise ein Patient eher schwierig ist in der Interaktion.

 

Sprecher:

Letztlich muss der Patient das Gefühl haben, dass er angenommen wird, darauf besteht auch Michael Lambert.

 

O-Ton 19 - Michael Lambert:

So if a patient would dare say you don't ... But not explain and not defend. Sprecher 2 (Übersetzung Lambert):

Wenn ein Patient sich traut zu sagen: Sie sind offenbar nicht erfreut, mich zu sehen, und das schon zum dritten Mal, ich fühle mich hier nicht willkommen, dann ist es wichtig, dass Therapeuten das sehr ernst nehmen und sich vielleicht sogar entschuldigen. Sie sollten nicht nach Erklärungen suchen und sich nicht verteidigen.

 

Musik (neutral) kurz anspielen und unter O-Töne von Betroffenen dazwischen und am Ende kurz hoch

 

O-Ton 20 - Betroffene/r 4:

Zehn Therapeuten habe ich mindestens in der Zeit gehabt, die eben dieses Thema nicht angefasst haben oder mich als blöd erklärt haben. Es gab sogar einen, der gesagt hat: „Okay, ich mach' mit ihnen eine Therapie. Wenn Sie noch einmal einen Rückfall haben, schneiden Sie sich eine Glatze."

 

O-Ton 21 - Betroffene/r 5:

War ich wieder sechs Wochen in Klinik, hat mich der Chef selbst behandelt, also der Mann, der hat sich, ich habe fast geglaubt, ich wäre der einzige Patient, der hat nur mich und sonst überhaupt niemand. Dabei hat der die Klinik am Hals hängen.

 

Sprecher:

Was muss geschehen, damit mehr Therapeuten ihren Patienten besser helfen? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Klar ist aber, dass schlechte Therapeuten erst einmal merken müssen, dass sie schlecht sind. Aber tun sie das? Der Psychologie-Professor Michael Märtens von der Fachhochschule Frankfurt am Main ist ein Spezialist für die negativen Folgen von Psychotherapie.

 

O-Ton 22 - Michael Märtens:

Also fast alle Therapeuten meinen, sie gehörten zu den 50 Prozent guten. Dass keiner denkt, er ist eher in der unteren Hälfte der Kompetenzen, was da die Aktion- und Interventionskompetenz anbelangt.

 

Sprecher:

Es gibt eine traditionelle Methode, die Therapeuten helfen soll, zu bemerken, wenn etwas schief läuft: die Supervision. In ihr besprechen Therapeuten einzelne Fälle mit Kollegen, oft besonders erfahrenen oder speziell qualifizierten Kollegen.

 

O-Ton 23 - Michael Märtens:

Natürlich gehen Therapeuten in Supervision, aber die Frage ist, funktioniert das? Bringt man wirklich die Fälle in die Supervision, wo man Unterstützung braucht oder bringt man eher so die mittelprächtigen in Supervision? Und viele kommen ja gar nicht in die Supervision. Der Fall kommt nicht in die Supervision, viele Therapeuten haben auch längere Zeit keine Supervision.

 

Sprecher:

Der Trierer Therapieforscher Lutz versuchte auf einem anderen Weg, Therapeuten Rückmeldung über die Fortschritte in ihren Therapien zu geben. Zusammen mit einer Krankenkasse startete er ein großes Projekt. Die Patienten füllten regelmäßig Fragebögen zu ihren Beschwerden und zu ihrer Therapie aus. Lutz und seine Kollegen fütterten die Antworten in ihren Computer. Der meldete dem Therapeuten, ob es angesichts der Schwere des Falles angemessen voranging. Notfalls riet er, das Vorgehen zu überdenken. Und noch etwas tat der Computer:

 

O-Ton 24 - Wolfgang Lutz:

Da gibt's zum Beispiel auch die Risikoitems, die zurückgemeldet werden. Und da kann durchaus auch zum Beispiel Suizidalität, und das ist unmittelbar so, dass wenn so ein Risikoitem zurückgemeldet, wenn das vorher nicht Thema war, das dann noch mal explizit angesprochen wurde und darüber einfach dann entsprechende Interventionen eingeleitet wurden.

 

Sprecher:

Den Berufsverbänden der Psychotherapeuten missfiel dieser Versuch, die Arbeit ihrer Mitglieder unter die Lupe zu nehmen. Sie machten Stimmung gegen das Projekt. Wohl auch deshalb stieg jeder vierte der anfangs zweihundert Therapeuten wieder aus. Die Behandelten aber haben eine ganz andere Einstellung.

 

O-Ton 25 - Wolfgang Lutz:

Patienten finden das übrigens gut. Also wenn die gefragt werden, für wie wichtig halten sie es, dass die Behandlungsergebnisse evaluiert werden, sagen 80 bis 90 % in der Regel, dass sie das für sehr wichtig halten.

 

Sprecher:

Wie viel sich mit solchen Rückmeldungen am Ende erreichen lässt, ist noch nicht klar. Die Arbeitsgruppe von Michael Lambert konnte bei ihrem Versuch mit dieser Methode den Anteil gescheiterter Therapien halbieren. In der deutschen Studie aber machte es für die Erfolge keinen Unterschied, ob die Therapeuten Rückmeldungen bekommen hatten oder nicht: So oder so erzielten 28 Prozent der Patienten keine Fortschritte und sieben Prozent ging es hinterher sogar schlechter. Therapeuten auf den richtigen Weg zu bringen, ist offenbar nicht einfach. Vielleicht wäre es besser, dafür zu sorgen, dass von vornherein nur Menschen den Beruf ergreifen, die voraussichtlich gute Therapeuten werden. Aber lässt sich das vorher feststellen? Julia Eversmann hat es in Osnabrück versucht.

 

O-Ton 26 - Julia Eversmann:

Was wir gemacht haben ist, dass wir Ausbildungskandidaten, die sich bei uns im Institut für die Psychotherapieausbildung beworben haben im Rahmen einer Gruppensituation beobachtet haben, wie sie miteinander umgehen. Das ist eine Stresssituation, es gab drei Beobachter, die sich außen vor gehalten haben, aber die Teilnehmer beobachtet haben hinsichtlich ihrer Fähigkeit, der Kommunikation. Wie kommunizieren sie miteinander, wie reagieren sie auf Kritik von anderen, ist das eher eine feindselige Art und Weise, wie sie dann zurückschießen? Sind sie gekränkt, sind sie sachbezogen, nehmen sie die Kritik ernst?

 

Sprecher:

Die beobachtenden Experten kreuzten auf einer Liste an, wie stark sie diese Verhaltensweisen bei den Bewerbern wahrnahmen. Außerdem ging es darum, ob die Kandidaten eher kühl waren oder eher freundlich, ob sie auf die Meinungen von anderen eingingen oder nicht. Wie sich die Bewerber anstellten, spielte aber erst einmal keine Rolle. Da genügend Plätze da waren, wurden alle ausgebildet. Doch am Ende der Ausbildung überprüfte Julia Eversmann, wer nun ein guter Therapeut geworden war. Sie wertete die ersten Therapien der Nachwuchskräfte aus und erkundigte sich nach dem Urteil der Ausbilder.

 

O-Ton 27 - Julia Eversmann:

Es zeigte sich tatsächlich, dass die Therapeuten, die kompetenter waren anhand unserer Kriterien, erfolgreicher waren innerhalb der Therapien, dass sie weniger Therapieabbrüche haben, dass sie insgesamt umgänglicher waren, also weniger problematisch waren, dass sie von ihren Supervisoren kompetenter eingeschätzt wurden und dass sie auch die Leistung innerhalb der Ausbildung, was das theoretische Wissen angeht, besser absolviert haben.

 

Sprecher:

So lassen sich von vornherein geeignetere Therapeuten auswählen und die Universität Osnabrück setzt das Verfahren heute routinemäßig ein. Das Verfahren liefert keine so perfekten Prognosen, dass man angehende Psychotherapeuten allein damit auswählen könnte. Auch wäre es juristisch heikel, jemanden nur wegen seiner Persönlichkeit abzulehnen. Daher werden auch Zeugnisse, Praktika und Fortbildungen berücksichtigt. Aber natürlich lassen sich auch so nicht alle Ungeeigneten aussieben und bei bereits zugelassenen Therapeuten mit zweifelhaften Fähigkeiten hilft all das ohnehin nicht mehr. Doch die könnten sich wenigstens auf Probleme beschränken, mit denen sie besser klarkommen. Denn eine neue Studie der Pennsylvania State University zeigt: Ein schlechter Therapeut ist oft vor allem bei einzelnen Problemen schlecht. Er versagt beispielsweise bei Sexualstörungen, kann aber Depressiven gut helfen. Zumindest spezialisierte Einrichtungen sollten also kritischer als bislang überprüfen, ob ihre Therapeuten für ihre Klientel wirklich geeignet sind. Michael Märtens denkt da beispielsweise an Suchtberatungsstellen.

 

O-Ton 28 - Michael Märtens:

Da kommen ganz viele Patienten hin, die Suchtprobleme haben, aber ein Teil der Therapeuten, die da arbeiten, sind genau für die Behandlung von Suchtproblemen ungeeignet.

 

Sprecher:

Bis jetzt unternimmt die Zunft allerdings nichts, um Therapeuten von Patienten fernzuhalten, denen sie nicht gut helfen können. Auch die einzelnen Therapeuten reagieren oft falsch, beklagt der ehemalige Patient und Therapeuten-Kritiker Holger Reiners.

 

O-Ton 29 - Holger Reiners:

Da erwarte ich dann doch ein bisschen mehr Ehrlichkeit bei meinem Therapeuten, wenn er sagt, sagen würde, passen sie auf, wir kommen irgendwie nicht zusammen, ich komm' mit ihnen auch nicht zurecht, wir brechen die Behandlung ab und sie suchen sich bitte jemand Anderen.

 

Sprecher:

Weil Therapeuten so etwas selten sagen, bleibt den Patienten nur, selbst aktiv zu werden, wenn sie mit ihrem Therapeuten nicht zurechtkommen oder keine Fortschritte bemerken. Die ersten fünf Therapiestunden gelten in Deutschland ausdrücklich als probatorische Sitzungen. Sie sind also dafür gedacht festzustellen, ob eine Behandlung bei einem Therapeuten sinnvoll ist. Wenn ein Patient sogar Zweifel hat, ob sein Therapeut sich noch im Rahmen des Erlaubten bewegt, kann er sich an die Psychotherapeutenkammer seines Bundeslandes wenden. Dort muss man nicht gleich eine formelle Beschwerde einreichen, sondern kann sich einfach erst einmal beraten lassen. Bislang nutzen diese Möglichkeit allerdings nur sehr wenige Patienten. Wer angesichts langer Wartelisten einen Therapieplatz ergattert hat, tut sich schwer, ihn wieder aufzugeben und weiterzusuchen. Aber bei einem ungeeigneten Therapeuten zu bleiben, hilft eben auch nicht.

 

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O-Ton 30 - Betroffene 6:

Ich wurde immer depressiver und phasenweise ging es mir ganz schlecht. Was man ja sagt, soll gut sein. Aber ich habe dadurch, dass ich, ich brauchte immer eher ein Gegenüber, da war keines da. Und das hat mir nicht gut getan. Da habe ich zweieinhalb Jahre dieser Analyse gemacht und dann aber abgebrochen.

 

O-Ton 31 - Betroffener 7:

Das ist die Art von Frau Dr. Schramm. Sie hat mich am Anfang immer gefragt, wie es war. Und aufgrund meiner Depression und der dazugehörigen Angst habe ich mich nicht getraut, zuerst zu sagen. Aber sie hat mir einfach das Gefühl gegeben, geborgen zu sein.

 

 

 

 

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