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Lauter unerhörte Kampagnen

von Jochen Paulus
(Die Zeit 22.09.2005)

 

Aufklärungsaktionen gegen Drogen, Aids oder Suizid verpuffen erschreckend oft, manche wirken sogar kontraproduktiv

 

Am Eingang des Petrified Forest National Park in Arizona bat ein Schild die Besucher, keine Souvenirs aus dem versteinerten Wald mitzunehmen, sonst müsse man den Park bald schließen. Dem Psychologen Robert Cialdini von der Arizona State University stieß dies sauer auf. Der Mann, eine Autorität auf dem Gebiet der Überredungskunst, experimentierte deshalb mit verschiedenen Schildern vor dem Park. Und stellte fest, dass die ursprüngliche Version nur schadete, sie ermunterte die Besucher beim Test dazu, mehr ausgelegte Versteinerungen abzuschleppen. Dem Schild entnahmen sie, Klauen sei hier ortsüblich – und folgten der Sitte. Cialdini hält es deshalb für falsch, Fehlverhalten zu bekämpfen, »indem man es als bedauernswert verbreitet darstellt«. Das sei zwar »verständlich, aber abwegig«.

Auf verständliche Abwege geraten nicht nur Amerikaner. Beispielsweise prangerte der Sozialverband VdK vor zwei Jahren auf Großplakaten an: »60 Prozent aller Betriebe beschäftigen keine/n über 50«. Das sollte die Bevölkerung und Arbeitgeber »nachdenklich machen«. Fragt sich nur, zu welchem Schluss die Bosse dabei kamen. In die gleiche Falle tappen laut Cialdini auch Kampagnen, die den erschreckend hohen Konsum an Alkohol und Zigaretten beklagen. Es ist eben ein tückisches Unterfangen, seine Mitmenschen auf den rechten Weg führen zu wollen. Im Extremfall bewirkt man das Gegenteil des Erhofften.

So testete Greg Maio von der Universität Cardiff Anzeigen gegen rassistische Vorurteile im psychologischen Labor. Die Werbung war jener der britischen Commission for Racial Equality nachempfunden. Ausgerechnet Teilnehmer mit zwiespältigem Verhältnis zu anderen Volksgruppen fühlten sich bestärkt: Sie demonstrierten hinterher mehr Vorurteile, als wenn sie statt der politisch korrekten Anzeige eine für Mobiltelefone gesehen hätten. Als Grund nennt Maio, die antirassistischen Anzeigen hätten keine überzeugende Argumentation geboten, sondern nur kurze Slogans.

Noch verhängnisvoller wirkte ein Aufklärungsversuch des ZDF Anfang der achtziger Jahre zum Thema Selbstmord. Jede Folge der Serie Tod eines Schülers zeigte eingangs, wie sich die Titelfigur vor einen Zug wirft. In den Wochen danach stieg die Zahl der Eisenbahnsuizide signifikant an, bei älteren Schülern um 175 Prozent. Als ein Privatsender die Serie trotz Warnungen erneut ausstrahlte, wiederholte sich das Drama.

Der Verdacht, kontraproduktiv zu wirken, umgibt auch die klassische Drogenaufklärung: Regt es die Schüler nicht zum Probieren an, wenn ein Polizist mit Musterkoffer ihnen die faszinierenden Substanzen vorstellt? Tatsächlich konsumierten Schüler nach einigen frühen Präventionsprogrammen mehr Drogen als jene aus Kontrollgruppen. Beim Alkohol besteht der gleiche Verdacht. Ein Team um David Foxcroft von der Oxford Brookes University prüfte vor drei Jahren 56 Studien aus sechs Ländern zur Alkoholprävention bei Jugendlichen. Immerhin zeigten vier Studien negative Wirkungen – beispielsweise tranken die Schüler später mehr. Diese Resultate könnten allerdings auch Zufall sein.

Die eigentliche Hiobsbotschaft lautet: Die allermeisten Anstrengungen konnten keine Erfolge nachweisen. Bei zwanzig Initiativen fand Foxcroft »Belege für Wirkungslosigkeit«. Was die restlichen auf kurze und mittlere Sicht brachten, ließ sich nicht sicher sagen. Die Befunde waren ausgesprochen gemischt und oft »nicht überzeugend«. Lediglich acht Programme hatten überhaupt geprüft, ob ein eventueller Nutzen länger als drei Jahre anhielt, nur eines davon beurteilt Foxcroft als vielversprechend. Ähnlich wenig scheinen die meisten schulischen Antirauchprogramme auf Dauer zu bewirken. Sarah Wiehe von der Indiana University School of Medicine zog vor kurzem eine düstere Bilanz: Nur bei acht Programmen weltweit – darunter kein deutsches – wurde überhaupt geprüft, ob sie nachhaltig wirken. Wieder war nur eines erfolgreich, bei allen anderen gingen die Erfolge rasch in Rauch auf. So fiel auch das ausgefeilte Hutchinson Smoking Prevention Project durch, das amerikanischen Schülern von der dritten bis zur zehnten Klasse 56 Unterrichtseinheiten angedeihen ließ. Zur traurigen Bilanz trug auch DARE (Drug Abuse Resistance Education) bei, das wohl bekannteste Drogenpräventionsprogramm der Welt. Es kostete Milliarden und erreichte zeitweise drei Viertel der US-Schüler. Schon Anfang der neunziger Jahre bewiesen Untersuchungen, dass die Schüler dank DARE zwar mehr über Drogen wussten, aber unbeeindruckt weiter Rauschgift und Tabak konsumierten. Vor vier Jahren änderte DARE seinen Ansatz – mit noch ungewissem Ausgang.

In Deutschland würde ein ähnliches Desaster womöglich gar nicht auffallen, denn der Nutzen von Drogenpräventionsprogrammen wird bestenfalls oberflächlich untersucht. »In Deutschland wird ja kaum überprüft«, klagt Privatdozent Reiner Hanewinkel vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT) in Kiel. »Jeder kann sagen, wir haben ein schönes Programm.«

Zum Beispiel »Monheim für Kinder« (Mo.Ki). Das Projekt gewann im vergangenen Jahr den Deutschen Präventionspreis, hinter dem das Bundesgesundheitsministerium, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie die Bertelsmann Stiftung stehen. Im Armenviertel des Städtchens Monheim am Niederrhein lebt ein Viertel der Kinder von Sozialhilfe. Mo.Ki kümmert sich um sie.

Fünfzig Institutionen, darunter fünf Kindertagesstätten, koordinieren ihre Anstrengungen und stellen eine Menge auf die Beine. Kinder werden zu mehr Bewegung angeregt, in den Kitas wartet jetzt auch gesunde Rohkost am Büfett, es gibt Sprachförderkurse. Dass der ehrenwerte Versuch den Deutschen Präventionspreis erhielt, ist jedoch höchstens mit einem Mangel an Besserem zu entschuldigen. Denn Mo.Ki erfüllt die hohen Anforderungen des Preises nicht, der eine »eindeutige, messbare Zielsetzung« verlangt und »nachgewiesene Wirksamkeit«. Gemessen wird in Monheim nicht. »Wir haben keine Strichlisten gemacht«, sagt die Projektleiterin Inge Nowak vom dortigen Jugendamt. Es gibt fast keine belegbaren Erfolge, aber viele subjektive Beobachtungen. So sei das Selbstwertgefühl der Kinder gestiegen. »Und das ist natürlich Suchtprävention«, glaubt Inge Nowak.

Besser untersucht ist »Be Smart – Don’t Start«, das verbreitetste Nichtraucherprogramm an deutschen Schulen. Derzeit machen allein in Deutschland 11000 Klassen bei dem europaweiten Wettbewerb mit. Die Schüler verpflichten sich, ein halbes Jahr lang nicht zu rauchen. Brechen in einer Klasse mehr als zehn Prozent der Schüler das Versprechen (und geben es anonym zu), fliegt die Klasse aus dem Wettbewerb. Die Erfolgreichen können tolle Klassenfahrten gewinnen. Immerhin die Hälfte der Klassen hält das halbe Jahr durch. Oder behauptet das.

Reiner Hanewinkel vom Kieler IFT hat den Stand nach einem weiteren halben Jahr erhoben und sagt vorsichtig: »Die Ergebnisse deuten einen präventiven Effekt des Wettbewerbs an.« Ob er dauerhaft ist, bleibt unklar. Hanewinkel will weiterforschen, aber es fehlt dazu das Geld. Immerhin wurde eine Hand voll deutscher Schulprogramme gegen das Rauchen wenigstens über einige Jahre erforscht. Heike Kähnert von der Universität Bielefeld hat die Ergebnisse für die Lebenskompetenzprogramme zusammengetragen. Sie sind derzeit führend, sollen ohne Gruselpropaganda »Kinder stark machen«, damit sie besser mit Problemen umgehen und nicht in die Sucht flüchten. Kähnerts Fazit lautet: Der Rauchverzicht klappte zwar vorübergehend, doch nach einigen Monaten beziehungsweise Jahren »glichen sich die Konsummuster zwischen den Interventions- und Kontrollschülern wieder an«.

Umgekehrt beweisen mangelnde Erfolgsnachweise und die vielen Fehlschläge keineswegs, dass Prävention auf Dauer nichts bringt. Es reicht aber offenbar nicht, einfach loszulegen und sich auf den gesunden Menschenverstand und auf Lieblingstheorien zu verlassen. Allein große Langzeitstudien können klären, was wirklich hilft. Weil es davon aber wenige gibt, lässt sich noch nicht sagen, wie nachhaltige Programme aufgebaut sein müssen. Warum war in der US-Vergleichsstudie nur ein schulisches Vorbeugungsprogramm gegen Rauchen erfolgreich, die anderen nicht? Niemand weiß es. Immerhin lassen sich aus zahlreichen kurzfristig angelegten Studien einige Regeln ableiten, was zumindest zeitweise hilft – und vor allem, was nicht.

•Die Hoffnung, reine Information und Aufklärung führten zu vernünftigerem Verhalten, trügt. Die Leute wissen längst Bescheid.

•Besser sind interaktive Programme, in denen etwa Schüler in Rollenspielen Probleme lösen.

•Die Prävention sollte früh beginnen, bevor sich Probleme anbahnen oder auftreten. Sie muss langfristig angelegt sein, Kurzfristiges verpufft.

•Am meisten dürften umfassende Programme bringen, die gleichzeitig in der Schule, Familie und Gemeinde ansetzen. Auch Medienkampagnen nützen dann mehr.

Hilfreich können auch Tests sein, bevor man loslegt. Diese Idee hatte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die über Aids, Fehlernährung und vieles andere aufklärt. So konnte sie ein Motiv mit der ironischen Botschaft »Rauchen macht sexy« (»Wenn man auf Nikotingeruch, gelbe Zähne und blasse Haut steht«) noch stoppen. Nur 42 Prozent der Testpersonen hatten erkannt, dass es gegen das Rauchen ging, 27 Prozent tippten auf Zigarettenwerbung.

Kein Wunder, denn die Zigarettenwerbung ist dominant im Vergleich zu den Gegenkampagnen. So bezieht die BZgA für ihre Jugendkampagne »Rauchfrei« 2,5 Millionen Euro von der Zigarettenindustrie. Grundlage ist ein Vertrag mit dem Bundesgesundheitsministerium vom März 2002 mit der Klausel: »Die Maßnahmen dürfen nicht die Zigarettenindustrie, deren Produkte oder den Zigarettenhandel diskriminieren…« Das unterbindet aggressive Feldzüge wie die viel gelobte Truth-Kampagne in Florida. Mit trendig gestylten Jugendlichen attackiert sie die Tabakindustrie. Vor deren Hauptquartier stapeln Jugendliche in einem Spot Leichensäcke für die 1200 täglichen Tabaktoten. Auf diese Weise gelang es zumindest für einige Zeit, Jugendliche vom Rauchen abzuhalten. Die BZgA erforscht hingegen nicht, was sie mit ihren Kampagnen wirklich erreicht. Ihre Direktorin Elisabeth Pott verweist darauf, der Anteil rauchender Jugendlicher sei seit dem Kampagnenstart 2001 von 28 auf 20 Prozent zurückgegangen. Doch in der Zwischenzeit wurden Zigaretten durch Steuererhöhungen viel teurer, Jugendliche reagieren darauf sehr empfindlich. So trinken sie in diesem Jahr auch fast ein Viertel weniger Alkohol. Die Sondersteuer auf Alkopops dürfte mehr bewirkt haben als die Aufklärung.

Das Prinzip Hoffnung regiert in der BZgA auch bei der Wirksamkeit der Aids-Aufklärung. Elisabeth Pott verweist auf die niedrige deutsche Infektionsrate. »Wir haben im Vergleich zu anderen EU-Ländern 30000 Infektionen verhindert«, behauptet sie. Ob dies stimmt und tatsächlich an besserer Aufklärung liegt, bleibt offen. Sicher ist nur: Auch Aids-Aufklärung wird meist dilettantisch gemacht. Vor drei Jahren analysierten Barbara Krahé von der Universität Potsdam und ihr englischer Kollege Charles Abraham 71 deutsche und britische Broschüren. Heben diese auf die entscheidenden Punkte ab, etwa das Reden mit dem Partner über Kondome? Die Qualität aller Aufklärungsschriften erwies sich als ähnlich – schlecht. Fast ein Drittel geht an den heiklen Punkten »vollständig vorbei, ein weiteres knappes Drittel betont nur jeweils einen Aspekt«, resümiert Krahé. Mit am besten schnitt Safer Sex … sicher von der BZgA ab. Doch beim anschließenden Test an vier Berliner Gymnasien versagte auch diese Broschüre. Ob sich das eigentliche Ziel, die Verhinderung von Infektionen, erreichen ließ, wurde erst gar nicht überprüft. Studien in den USA kamen zu desillusionierenden Ergebnissen. Die Teilnehmer wurden dabei weit intensiver geschult als nur anhand einer Broschüre. Oft nahmen sie an mehreren Einzel- oder Gruppensitzungen teil. Die meisten Programme änderten an der Infektionsrate nichts. Ein ganztägiger Workshop für Schwule erhöhte sie sogar.

Den schockierendsten Rückschlag für die Aids-Prävention beschrieb Maria Wawer im Februar auf einer Konferenz in Boston. Ihr Team prüfte in einer Befragung von 10000 ugandischen Dorfbewohnern ein scheinbar hocherfreuliches Phänomen: In Uganda war die Zahl der HIV-Infizierten von 1994 bis 2003 dramatisch gesunken. Dies galt als Erfolg der Aufklärung. Doch die Analyse der Forscherin von der Columbia University in New York zeigte: Der Rückgang war hauptsächlich durch Todesfälle bedingt. Die hohe Zahl der Neuinfektionen wurde vom schnellen Sterben der Aids-Kranken übertroffen. Netto sank so der Anteil der Infizierten – und nicht durch Prävention.

 


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